Kundensegmentierung in neuen Businesszeiten

Die klassische Kundensegmentierung funktioniert nicht mehr. Denn heute entscheiden vor allem bestehende Kunden darüber, ob neue Kunden kommen und kaufen. Demzufolge rücken Online- und Offlinenetzwerke in den Vordergrund. Und der Loyalitätsstatus der Kunden spielt eine maßgebliche Rolle.

Bevor es an die Segmentierung selber geht, ist die Spreu vom Weizen zu trennen. Dabei muss man auch nein sagen können: Nein zu unpassenden Kunden und nein zu unpassenden Vorgehensweisen. Denn Kundenorientierung hat natürlich auch Grenzen: Nie geht es darum, dem Kunden alles zu schenken, was sich dieser erbettelt. Oder sich erpressen zu lassen, wenn er mit „Liebesentzug“ droht. Oder klein beizugeben, wenn er Sie über den Tisch ziehen will. Manchen Kunden müssen Sie also ‘bei aller Liebe‘ Grenzen zeigen.

Insgesamt geht es darum, zu entscheiden:

  • wer Sie sind – und wer nicht
  • was zu Ihnen passt – und was nicht
  • wer zu Ihnen passt – und wer nicht.

Denn Sie wollen nicht alles für jeden, sondern jemand Besonderes für Manche sein. Und das, was Sie dann bieten, sollte so perfekt wie möglich sein.

Zielgruppen müssen (zusammen)passen

Nun werden die Kundengruppen bestimmt, für die sie arbeiten wollen. Dabei fragen Sie sich:

  • Welche Kunden wollen wir? Und welche nicht?
  • Wer passt zu wem? Und wer passt gar nicht?
  • Mit wem verdienen wir Geld? Und mit wem nicht?

Schließlich geht es um dies: „Wie können wir uns von denen, die wir nicht mehr wollen, auf elegante Weise trennen?“ Planen Sie also einen ‚Beautiful exit‘, einen netten Abgang, ein. Oft trifft man sich zweimal im Leben. Und wer weiß, ob man unter anderen Umständen nicht später doch wieder Partner sein kann.

Die Zielgruppenpassung spielt vor allem dann eine Rolle, wenn sich Kunden treffen können oder mischen müssen. Fällt zum Beispiel in einem edlen Fünf-Sterne-Business-Hotel eine Busladung voll Billig-Touristen ein, dann wird dieser Umstand honorige Geschäftsleute zügig vertreiben. Und glauben wir, dass lauter „Proleten“ eine Automarke x oder eine Uhr y kaufen, dann kommt ein solcher Besitz für die, die sich für etwas Besseres halten, niemals infrage. Kundengruppen ziehen sich an – oder sie stoßen sich ab.

Eine Checkliste mit zielführenden Fragen

Bei diesen Vorüberlegungen geht es nicht um das: „Wie organisieren wir uns?“, sondern um die überlebenswichtige Frage: „Wie geht es den Kunden mit uns, und wie soll das in Zukunft noch besser werden?“ Folgende Fragen lassen sich beispielhaft stellen:

  • Welche Produkt- und Servicequalität wollen wir welchen Kunden an welchen Kontaktpunkten zukünftig bieten?
  • Mit welchen Ressourcen wollen wir diese Servicelevels erreichen? Auf welche Weise? Und mit welchen Prioritäten?
  • Welche verschiedenen Handlungsszenarien gibt es dabei?
  • Soll die Zahl der Kontaktpunkte vergrößert werden? Oder verkleinert? Und mit welchen Prioritäten?
  • Wie sieht für unsere Kunden ein optimaler Online-Offline-Touchpoint-Mix aus?
  • Was können wir an welchen Touchpoints tun, um in Zukunft mehr Wunschkunden zu gewinnen?
  • Was können wir an welchen Touchpoints tun, um in Zukunft weniger Wunschkunden zu verlieren?
  • An welchen Touchpoints kann am ehesten Fan-Potenzial entwickelt werden? Und wie?
  • An welchen Touchpoints können am ehesten Weiterempfehlungen generiert werden? Und wie?

Damit es sich hierbei nicht nur um Einschätzungen handelt, sollten die Kunden miteinbezogen werden. Sie votieren, priorisieren, kommentieren, ergänzen, geben Anregungen, Hinweise und Tipps. Sie berichten darüber, was sie denken, und warum sie was tun. Und sie erzählen von ihren Idealvorstellungen.

Netzwerke statt Zielgruppen

Zielgruppen nach klassischem Muster gibt es schon beinahe nicht mehr. Heute agieren (potenzielle) Kunden in Netzwerken, Communities und Interessensgemeinschaften. In solchen Kreisen werden Kaufentscheidungen maßgeblich von Dritten beeinflusst. Dabei wird ausführlich über Angebote berichtet, die man erhalten hat. Oder über Erfahrungen, die man anderen lieber ersparen will. Es wird heftig zu- oder abgeraten, und praktisches Wissen wird großzügig geteilt. Diese Netzwerke gilt es in den Fokus zu nehmen – denn das sind die Zielgruppen von morgen.

Die beste Strategie dabei? Für diejenigen besonders attraktiv zu sein, die sozialen Einfluss auf solche Menschen haben, die Sie gern als Kunden hätten. Dies sind die Influencer und Opinion-Leader. Sie benötigen also auch eine Strategie für all die, die Ihnen durch das Auslösen von Mundpropaganda und Empfehlungen beim Kundengewinnen helfen können.

Zwei Arten von Beziehungsnetzen

Es gibt zwei Arten von Beziehungsnetzen, für die es Strategien braucht:

  • Starke Netzwerke: Da ist die Interaktion zwischen den Teilnehmern hoch. Der Zusammenhalt ist stark. Man trifft sich häufig und kommuniziert laufend miteinander. Es gibt Zeichen der Zugehörigkeit, die sichtbar und mit Stolz getragen werden. Es gibt gemeinsame Aktivitäten und Angleichungseffekte. Ferner gibt es Rituale, die nur die Insider kennen. Der Zugang Außenstehender wird an Bedingungen geknüpft oder ist nur über Einladungen möglich.
  • Schwache Netzwerke: Die Interaktion ist sporadisch. Es gibt keine oder nur seltene Treffen. Man kommuniziert kaum miteinander. Zusammenhalt und Angleichungseffekte sind schwach. Es gibt keine Zeichen der Zugehörigkeit. Und keine Rituale. Der Zugang ist schrankenlos frei. Hierdurch ist die Meinungsvielfalt höher, die Breite der Informationen ist größer und immer neue Kontakte sind möglich. Allerdings ist der Aktivitätsgrad insgesamt niedrig.

Im Touchpoint Management interessieren uns natürlich besonders die starken Netzwerke, weil unsere Aktivitäten hier Wellen schlagen.

Machen Sie (sich) ein Bild

Die grafische Darstellung solcher Beziehungsgeflechte kann sehr nützlich sein, um die zunächst unsichtbaren Strukturen erkennbar zu machen. Spezifische Software-Programme helfen, die dazugehörigen Datenquellen zu erschließen. Business-Netzwerke wie Xing und Linkedin können hierbei gute Zuarbeiter sein.

Ich habe auch Verkäufer erlebt, die Netzwerk-Landkarten an der Bürowand erstellten. Dazu haben sie die Namen aller Personen, die eine Rolle spielten, auf Kärtchen geschrieben, diese aufgeklebt und – je nach Intensität der gepflegten Beziehung – durch verschieden farbige und unterschiedlich dicke Fäden miteinander verbunden. Auf solche Weise lassen sich starke und schwache Verbindungen (sogenannte strong ties und weak ties) optisch sichtbar machen und Super-Networker über Knotenpunkte identifizieren.

Saboteure oder Promotoren?

Wir leben in einer Empfehlungsgesellschaft. Deshalb werden in unserer onlinevernetzten neuen Businesswelt Kundenloyalität und die darauf aufbauende Weiterempfehlungsbereitschaft immer wichtiger. Haben Sie demzufolge schon mal eine Zielgruppenauswahl nach Loyalitätskriterien gemacht? Dabei werden Kunden entsprechend ihres Treueverhaltens geclustert:

  • Saboteure
  • Illoyale Kunden
  • Verlorene Kunden
  • Bedingt loyale Kunden
  • Total loyale Kunden
  • Fan-Kunden, Multiplikatoren, Empfehler

Analysieren Sie zum Beispiel einmal genau, wie Sie an Ihre total loyalen Kunden, an Ihre Fans und Ihre aktiven Empfehler gekommen sind, was sie auszeichnet und wie sie sich an den einzelnen Touchpoints verhalten. Welche Muster sind zu erkennen? Und welche davon lassen sich reproduzieren?

So können Profile und Prozesse erstellt werden, mit deren Hilfe man systematisch auf die Suche nach neuen loyalen Kunden und Multiplikatoren gehen kann. Und man lernt auch, solche Kunden zu meiden, bei denen alle Loyalisierungsbemühungen zwecklos sind. Denn Loyalität lässt sich nicht bei Allen und Jedem erreichen – und schon gar nicht auf die gleiche Weise.

Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints- Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
Managementstrategien für unsere neue Businesswelt
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Gunter Dueck
Gabal, 4. aktualisierte Auflage, 350 Seiten
29,90 Euro, 47.90 CHF
ISBN: 978-3-86936-330-1
Ausgezeichnet als Mittelstandsbuch des Jahres und mit dem Deutschen Trainerbuchpreis 2012,
www.touchpoint-management.de

Die Autorin
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und ein kundenfokussiertes Management. Sie zählt zu den gefragtesten Referenten im deutschsprachigen Raum. Sie ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen. Wenn es um das Thema Kunde geht, gehört sie zu den meistzitierten Experten. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der deutschen, österreichischen und schweizerischen Wirtschaft. Weitere Informationen: www.anneschueller.de

2 thoughts on “Kundensegmentierung in neuen Businesszeiten

  1. Es gibt klare, empirische Ergebnisse zur richtigen und erfolgreichen Segmentierung. So zeichnten sich z.Bs. bei einem Vergleich unter über 1000 Mittelständlern insbesondere Unternehmen aus, die klare strategische Disziplin und Preisstrategie darlegten. Die Firma Allsafe Jungfalk im hartumkämpften Automobilzuliefermarkt konnte z.Bs. gerade durch strategische Disziplin und Preisdisziplin den Umsatz von 1999 bis 2012 von 10 Mio Euro auf 35 Mio Euro erhöhen. Nur als ein Punkt unter vielen Aspekten der richtigen Adressierung: Adressieren Sie die richtigen, die auch in den Preisvorstellungen zu Ihnen passen. Eine Analyse unter 6000 Einzelhandelskunden zeigte bei der Befragung z.Bs., dass nur ca. 25% wirklich nach Preis gekauft hatten. Es gibt weitere, zahlreiche, faszinierende Ergebnisse, die zeigen, dass es nicht darum geht, die meisten Kunden zu bekommen, sondern die richtigen – und dass die Unternehmen, die sich auf die richtigen beschränken erfolgreicher sind. Gleichzeitig gilt es im exakten Micromarketing genau diese Segmente zu finden und anzusprechen.

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